Die Buchstabiertafel

Kapitel aus: Schwender, C. (1997). "Wie benutze ich den Fernsprecher?" Die Anleitung zum Telefonieren im Berliner Telefonbuch 1881-1996/97. Berlin, Bern, New York: Peter Lang, S. 301 - 311

1890-1932

Im Unterschied zur den Ursachen bei der Veränderung der Zahlenaussprache, die zweifelsfrei in der Optimierung des Ablaufes und in der Anpassung des Menschen an das technische System liegen, lassen sich die Gründe für Veränderungen einer anderen Kommunikationshilfe nicht so eindeutig festlegen. Zwar geht es auch bei der Buchstabierhilfe um eine Optimierung, jedoch kann man nicht in allen Fällen der einzelnen Maßnahmen von einer Anpassung an die Erfordernisse der Telekommunikation sprechen. Es geht nämlich nicht nur um das Erreichen eines Optimums, sondern mitunter um die Anpassung an fremde Systeme, die nicht primär technisch sind, fremde Systeme, die eher gesellschaftliche Subsysteme sind wie das Militär, oder politisch dominante Weltanschauungen repräsentieren, an die die Buchstabierhilfen jeweils angepaßt wurden. Daß dies mit dem gleichen Eifer geschah und mit den gleichen Instrumentarien der Optimierung getestet und schließlich eingeführt wurde wie bei der Zahlenaussprache, zeigt, wie unbewußt die Akteure zwei zutiefst unterschiedliche Ebenen gleich behandelten.

Faksimile: Aus dem Telefonbuch 1890

Das erste Berliner Telefonbuch erscheint im April 1881. 1890 wird zum ersten Mal eine Buchstabiertafel abgedruckt, da die Übertragungstechnik noch so unausgereift ist, daß es immer wieder zu Übermittlungsfehlern kommt. Den Buchstaben werden Zahlen zugeordnet. Jeder Fernsprechteilnehmer muß diese Liste vor sich haben.

Dies erweist sich jedoch als unpraktisch, denn bereits 1903 werden den Buchstaben Namen zugeordnet, von A wie Albert bis Z wie Zacharias. Von dieser Entwicklung nichts mitbekommen hatten offensichtlich geschäftstüchtige Zeitgenossen, die dem Kaiserlichen Reichs-Postamt 1910 (Akte 47.01/3612, vom 5. Februar 1910) beziehungsweise 1912 (Akte 47.01/3523, vom 26. Oktober 1912) ihre Vorschläge unterbreiteten: Einmal sollte die Zuordnungstabelle als Emailleschild am Telefon angebracht werden, das andere Mal sollte sie als Plakat mit Notizzettel und Abreißkalender an alle Teilnehmer verschickt werden.

1905, zwei Jahre nach der Rechtschreibreform, die im Text zur Anleitung des Telefons seit 1903 umgesetzt ist, wird der weibliche Vorname "Bertha" der veränderten Schreibweise angepaßt, der Begriff "Citrone" gegen "Cäsar" ausgetauscht und der Name "Jacob" für J eingeführt. 1911 wird "Berta" gegen "Bernhard" ausgetauscht und "Ärger" gegen "Änderung". Daß das Militär Einfluß auf technische Entwicklungen hatte und hat, ist unbestritten. Auch beim Telefon lassen sich an verschiedenen Stellen diese Einwirkungen nachweisen. Doch die Vorschläge, die zur Veränderung der Buchstabiertafeln während des Ersten Weltkrieges von seiten der Kaiserlich Deutschen Post- und Telegraphenverwaltung in Belgien gemacht werden, finden beim Kaiserlichen Reichspostamt keine Zustimmung. Dabei bezieht sich die Besatzungsverwaltung ausdrücklich auf die militärischen Vorteile:

"Bei den vielen Beziehungen, die die an das Fernsprechnetz der P. T. V. angeschlossenen Dienststellen mit den Stationen der Feldtelegraphie haben, hält es die P. T. V. für zweckmäßig, dass die Buchstabiertafel der P. T. V. in Übereinstimmung mit der für den Feldfernsprechbetrieb vorgeschriebenen gebracht worden ist." (Akte 47.01/4139, vom 13. September 1915)

Das Präsidium der Verkehrstechnischen Prüfungskommission vertrat der Reichspost gegenüber die gleiche Position und fügte ein gewichtiges Argument hinzu:

"Es würde im Verlaufe des Krieges ganz unmöglich, später aber mit hohen Kosten verknüpft sein, für den Betrieb des Heeres die Worte zu ändern, weil sie, wie erwähnt, auf allen Apparaten der Feldtelegraphie angebracht sind. Vielleicht ließe es sich aber durchführen, die militärischen Worte dort einzuführen, und zwar gelegentlich des Neudrucks der Teilnehmerverzeichnisse." (Akte 47.01/4139, vom 12. August 1915)

Am 2. November 1915 ergeht eine Antwort, die das Bestreben der Militärs, ihre Buchstabiertafel auch ins zivile Leben zu übertragen, abschlägig bescheidet. Nicht nur das, die Überlegenheit der militärischen Fassung wird darüber hinaus in Zweifel gezogen (Akte 47.01/4139). Auch eine anschließende Diskussion mit einigen Oberpostdirektionen (Akte 47.01/4139, vom 26. November 1914 von der O. P. D. Königsberg/Pr.) bestätigt die ablehnende Haltung. Die wichtigsten Argumente sind, daß sich die Teilnehmer sowieso nicht streng an die vorgegebenen Buchstabierhilfen hielten, sondern gerade die Namen benutzten, die ihnen spontan einfielen. Und daß sich die Tafel, die im internen Betrieb verwendet würde, durchaus bewährt habe und Klagen nicht bekannt seien.

Allerdings gibt es keine Bedenken, die für das Heer vorgesehene Buchstabiertafel im Bereich der Deutschen Post- und Telegraphenverwaltung in Belgien anzuwenden, vor allem da diese schon eingeführt ist. Und, so das weitere Argument, da sowieso jeder beliebige Stichworte benutze, sei es auch zu akzeptieren, daß das Militär sich eine eigene Tafel schaffe. Da es nun keine optimale oder ideale Buchstabierhilfe zu geben scheint, sind auch Möglichkeiten der Änderung größer und so gibt es auch bald einen Vorschlag, der auf "gewissen Gärungen" Rücksicht zu nehmen vorgibt und empfiehlt: "Namen wie Isidor, David, Jacob, Nathan, Samuel u. a. zu vermeiden und zu entfernen, somit rechtzeitig Wasser von der Mühle zu nehmen, das die Spannung ungünstig beeinflussen könnte." (Akte 47.01/3462, vom 28. Oktober 1919)

Statt dessen schlägt der Briefeschreiber eine Liste vor mit der Überschrift: "vokalreiche kurze Städtenamen" von A wie Aachen bis Z wie Zittau, hinzu kommen Oe wie Oesterreich und Ue wie Uerdingen. D will er übrigens buchstabiert haben mit "Deutschland". Auch dies ein Ansinnen, das in der Postgeschichte zunächst keine Beachtung findet (Ablehnung wiederum mit Hinweis auf den jahrzehntelangen Gebrauch und "Einbürgerung" der gebräuchlichen Tafel, Akte 47.01/3462, vom 2. Dezember 1919).

1920 gibt es aber dann doch einen Umstand, der sich auf die Liste auswirkt. Bei Funk-Sprechversuchen zwischen Königs-Wusterhausen und Leipzig hat man einen Gleichklang der Wörter "Karl" und "Paul" festgestellt. Da dies auch zu Verwechslungen im Fernsprechverkehr führte, wird beantragt, den Namen "Paul" durch "Paula" zu ersetzen (Akte 47.01/3462, vom 16. August 1920). Ob man den neuen Begriff wählt, weil er bereits im Ersten Weltkrieg auf der vom Heer gebrauchten Liste steht, ist nicht nachzuvollziehen, "Paula" ist ein naheliegender Begriff, der genügend Unterscheidung zu "Karl" herstellt und gleichzeitig klangliche Nähe zu "Paul" hat, so daß ein Lernen eines gänzlich neuen Begriffes nicht nötig ist.

1924, das Jahr, in dem der Umfang der Vorbemerkungen und der Anleitungstexte erheblich zunehmen, wird auch der Erläuterungstext zur Buchstabiertafel erweitert und der Gebrauch an einem Beispiel erklärt:

ANWENDUNGSBEISPIEL
DER SPRECHENDE
spricht den Namen "Eyth", wird aber nicht verstanden. Er sagt: "Eyth - Ich buchstabiere. - Bitte schreiben Sie mit: -
E-mil
Y-psilon
T-heodor
H-einrich"
(Langsam sprechen - Pausen einhalten!)

DER HÖRENDE
schreibt womöglich die Anfangsbuchstaben der Schlüsselwörter mit:
E - Y - T - H

Warum gerade der Begriff "Eyth" gewählt wird, ist nicht nachzuvollziehen. Immerhin ist Max von Eyth ein bekannter und zu Beginn des Jahrhunderts populärer Schriftsteller und Ingenieur. Er arbeitete an Fowlers Konstruktion eines Dampfpfluges mit, den er in vielen Ländern der Erde einführte. Neben fachtechnischen Werken schrieb er Skizzen und Erzählungen aus der Welt der Technik. Seine bekanntesten Werke sind: "Der Kampf um die Cheopspyramide" (1902) und "Hinter Pflug und Schraubstock" (1899), eine Sammlung von Erzählungen und Gedichten aus dem Tagebuch eines Ingenieurs. Die Kombination von Technik und Literatur: Sicher ein Zufall, aber das genau spiegelt die Rolle des Technik-Redakteurs wider. Ob sich die verantwortlichen Beamten nicht nur von Eyths Namen, der die Verwendung einer Buchstabiertafel auch ohne Telefon erfordert, sondern auch von seiner literarischen Welt inspirieren ließen, ist nicht überliefert (Zur Rezeption von Eyth in den zwanziger Jahren ist anzumerken, daß 1924 eine Monographie unter dem Titel "Führende Männer", Bd. 8, "Dichter-Ingenieure" in Leipzig erschien, in dem auch ein Aufsatz von H. Wiesenthal über Max von Eyth zu finden ist). Bis 1951 ist EYTH als Anwendungsbeispiel im Anleitungsteil des Telefonbuches gegenwärtig.

1925 macht eine weitere betriebsinterne Verwaltung Verbesserungsvorschläge, wobei die Argumente neu sind: Die Telegramm-Aufnahme der Oberpostdirektion Hamburg macht die Beobachtung, daß verschiedene Modellworte vom Publikum und in deren Folge auch von den Beamtinnen nicht mehr benutzt werden.

"So wird das Wort 'Karl' fast nie mehr gebraucht, da die Teilnehmer immer wieder fragten: 'Karl mit C oder mit K?' Ebenso hat sich statt des in der Buchstabiertafel stehenden Wortes 'Albert' wegen der darin vorkommenden, die Sprechorgane anstrengenden Anhäufung verschiedener Konsonante das Wort 'Anna' eingebürgert. Auch werden Wörter, deren Silben ein langes i enthalten, möglichst vermieden." (Akte 47.01/3520, vom 29. Mai 1925)

Dies veranlaßt die Berliner Oberpostdirektion, eine Untersuchung in Auftrag zu geben, die einige Veränderungen vorschlägt. So sollen die Namen "Ida" und "Käthe" eingeführt werden, da sich diese in den Versuchen als überlegen herausstellten (Akte 47.01/3520, vom 25. Juli 1925. Der Vorgang ist unterzeichnet von Ohnesorge, dem späteren Reichspostminister von 1937 bis 1945). Warum statt "Käthe" dann aber doch "Katharina" in der Buchstabiertafel von 1926 aufgenommen wird, ist nicht belegt.

Ein weiterer Mangel, der durch die Beamtinnen in vorgreifender Praxis bereits beseitigt war, wird 1932 in der Buchstabiertafel behoben. Die Kennwörter "Charlotte" und "Schule" finden Eingang für die häufig vorkommenden Buchstabenzusammensetzungen Ch und Sch (Akte 47.01/20439, vom 15. Juni 1931. In dieser Akte vorgeschlagen war der Name "Christian" für Ch. Auch hier ist nicht nachvollziehbar, warum der Name "Charlotte" Eingang in die Liste fand). Bei dieser Gelegenheit wird auch die Anpassung der Schreibweise des Namens "Jacob" zu "Jakob" vorgenommen.

1933-1945

Faksimile: Postkarte, die der Überarbeitung der Buchstabiertafel 1933 den Anstoß gab
Faksimile: Postkarte, die der Überarbeitung der Buchstabiertafel 1933 den Anstoß gab

Zu einem historisch wie für die Betrachtung der Instruktion theoretisch bedeutsamen Eingriff in die Hilfestellung zur Übermittlung von schwer verständlichen Begriffen kommt es 1933. Anlaß ist eine Postkarte, die am 22. März verfaßt und am 23. März abgestempelt, an das Postamt Rostock gerichtet ist:

"In Angetracht des nationalen Umschwungs in Deutschland halte ich es für nicht angebracht, die in der Buchstabiertabelle des Telefonbuchs aufgeführten jüdischen Namen wie
David,
Nathan
Samuel etc.

Noch länger beizubehalten. Ich nehme an, daß sich geeignete deutsche Namen finden lassen. Ich hoffe, in der nächsten Ausgabe des Telefonbuchs meinen Vorschlag berücksichtigt zu sehen." (Akte 47.01/20439)

Bereits am 24. März wird die Karte von dort weiter zur Oberpostdirektion nach Schwerin geleitet und mit einem Begleitschreiben versehen:

"Anliegend wird ein Schreiben des hiesigen Teilnehmers Joh. Schliemann - 2155/56 - wegen Ausmerzen der in der Buchstabiertafel auf Seite 5 des Fernsprechbuches enthaltenen jüdischen Namen vorgelegt.

Nachdem die nationale Bewegung zum Durchbruch allgemein gekommen ist, die sich auch zum Ziel gesetzt hat, den jüdischen Einfluß auf das deutsche Volk herabzumindern, mag es manchen nationalen Kreisen eine Überwindung kosten, bei der Verdeutlichung eines Wortes jüdische Namen anwenden zu sollen. Indem wir die Anregung weitergeben, hoffen wir, die in der Buchstabiertafel enthaltenen jüdischen Namen David, Jacob, Nathan, Samuel, Zacharias auszuräumen und sie durch deutsche Wörter z. B. Danzig, Jena, Nürnberg, Siegfried, Zucker zu ersetzen." (Akte 47.01/20439, vom 24. März 1933)

Von dort gehen beide Schreiben am 25. März - wiederum mit einem empfehlenden Anschreiben - nach Berlin. Doch dieses Mal ist die Referenz eher zurückhaltend:

"Es [das Anschreiben aus Rostock, C. S.] verkennt hierbei indes, daß es sich um Namen von Männern des alten Testaments handelt, die später nicht nur von Juden, sondern vielfach auch von allgemein angesehenen Männern beider christlicher Konfessionen getragen worden sind. Bei Ausräumung dieser Namen aus der Buchstabiertafel zum augenblicklichen Zeitpunkt kann mit Sicherheit angenommen werden, daß diese Maßnahme nicht nur bei dem Judentum Anstoß erregen, sondern auch bei den Angehörigen der beiden christlichen Konfessionen nicht überall Verständnis finden wird und möglicherweise auch im Ausland Angriffe zur Folge haben würde, die der nationalen Bewegung in Deutschland nicht dienlich sind. Die OPD erachtet daher eine Änderung in der angestrebten Weise zum mindesten jetzt noch nicht für angebracht und beabsichtigt, den Antragsteller durch das Postamt Rostock dahingehend im Wege mündlicher Besprechung bescheiden zu lassen.
Da es sich jedoch um einen Vorschlag handelt, der eine Änderung der Dienstvorschriften (ADA VI, 4 A Anlage 88) bezweckt und dessen Behandlung daher gemäß ZO § 1 A 4 dem RPM vorbehalten ist, wird um Entscheidung gebeten, ob die Regelung in der beabsichtigten Weise erfolgen darf." (Akte 47.01/20439, vom 25. März 1933)

Der unbekannte Beamte, der den Vorgang zunächst zur Bearbeitung bekam, verfaßt dazu folgende Aktennotiz:

"Die biblischen Vornamen in der Buchstabiertafel sind s. Z. gewählt worden, weil sie am Fernsprecher leicht verständlich und bei lautlicher Prüfung anderen Vornamen überlegen waren und daher zu keinen Verwechslungen Veranlassung gaben. [Handschriftlich gestrichen ist der folgende Satz, C. S.] Obwohl mehrfach gerade aus jüdischen Kreisen gegen diese Namen Einspruch erhoben worden ist, sind sie doch wegen ihrer für den Fernsprechbetrieb günstigen lautlichen Eigenschaften beibehalten worden." (Akte 47.01/20439, vom 25. März 1933)

Doch als am 31. März der Beamte Neugebauer die Sache auf seinen Schreibtisch bekommt, nimmt sie eine andere Wendung:

"Da es sich bei der Buchstabiertafel für den Inlandsverkehr im wesentlichen um Vornamen handelt, werden bei dem Ersatz der wegfallenden biblischen Vornamen möglichst auch Vornamen berücksichtigt werden müssen." (Akte 47.01/20439, vom 25. März 1933)

Damit ist die Sache entschieden und eine Reihe neuer Namen wird getestet. Bereits am 22. April sind die Versuche abgeschlossen und folgende Vorschläge zum Ersatz der jüdischen Namen werden unterbreitet: "Dora, Julius, Nikolaus, Siegfried und Zeppelin." (Akte 47.01/20439)

Faksimiles:
links: Buchstabiertafel 1933
rechts: Buchstabiertafel 1934

Es folgen fünf Anlagen mit den Testergebnissen der einzelnen Versuche. Bereits wenige Tage später bekommen die Antragsteller, die mittlerweile zahlreicher sind, die Oberpostdirektion, der Verbindungoffizier des Reichswehrministeriums beim RPM Herr Oberleutnant Dohne und schließlich am 10. Mai auch die Amtsblattstelle eine Mitteilung über die beschlossenen Veränderungen. Daß die Veröffentlichung bereits sechs Tage später erfolgt, geht aus folgendem Protestschreiben des Reichstagsabgeordneten Sprenger hervor, das er an das Reichspostministerium richtet und die zuvor von eher gemäßigten Beamten befürchteten Reaktionen zu bestätigen scheinen:

"Der Vorname Jakob, den zu führen ich die Ehre habe, kann doch nach der heutigen Entwicklung nicht als jüdisch angesehen werden. Es müssen schon sonderbare Heilige sein, die auf einen derartigen Einfall kommen; man bedenke doch, dass tausend und abertausende von Menschen durch diese Verfügung gröblich verletzt wurden. Ich bitte um umgehenden Bescheid." (Akte 47.01/20439, vom 26. Mai 1933)

Am 7. Juni bekommt der Abgeordnete und Reichsstatthalter Bescheid:

"Sehr geehrter Herr Reichsstatthalter!
Die Anregungen, die Buchstabiertafel für den Inlandverkehr von allem biblischen Namen zu reinigen, sind nicht nur von meinen Dienststellen, sondern daneben auch [in der Vorlage: ganz besonders, C. S.] vom Publikum ausgegangen. Auch heute noch gehen Änderungsvorschläge ein, welche die lebhafte Anteilnahme des Publikums an einer Änderung der Buchstabiertafel zeigen. Ich konnte mich daher den vielen Anregungen auf Tilgung dieser Namen nicht verschließen. Zwar war ich mir bewußt, daß die Tilgung des Namens Jakob, der vielfach von Männern beider christlicher Konfessionen getragen wird, nicht überall Zustimmung finden würde, ich habe jedoch aus den Vorschlägen und Zuschriften ersehen, daß die biblischen Namen dem Publikum heute nicht mehr erwünscht sind. Eine nochmalige Änderung der Buchstabiertafel des Inlands würde erneut Unruhe bringen und vor allen Dingen zu Unzuträglichkeiten im Betriebe führen. Aus diesem Grunde möchte ich davon Abstand nehmen." (Akte 47.01/20439, vom 7. Juni 1933)

Die Erwiderung des Abgeordneten Sprenger läßt gut zwei Wochen auf sich warten, doch diesmal kommt der Brief nicht mit dem schlichten Briefkopf des Reichstages, sondern dem prächtigen der NSDAP mit entsprechendem Stempel und Gruß. Der Gauleiter von Hessen-Nassau-Süd, Jakob Sprenger, reagiert eher konfus:

"Ich will die Sache nicht weiter aufgreifen und nur Veranlassung nehmen, Sie zu beglückwünschen, dass der Sachbearbeiter die aussergewöhnliche Fähigkeit besass, aus der Hetze gegen jüdische Namen nunmehr die Betreuung von biblischen Namen zu machen." (Akte 47.01/20439, vom 19. Juni 1933)

Psychologisch gesehen ist der Briefeschreiber in einem double bind: Wie immer er sich entscheidet, die Entscheidung ist falsch. Wenn er sich für die Beibehaltung des Namens Jakob einsetzt, macht er sich als Nazi zum Philosemit; setzt er sich für die Beseitigung des Namens ein, entscheidet er sich gegen seinen eigenen Namen und damit gegen sich selbst. Darum seine hilflose Antwort, mit der er sich aus der Affäre zieht. Der Widerspruch, den er aufdeckte, war ihm in seinem ersten Brief sicher nicht bewußt und falls er ihm mittlerweile bewußt gewesen sein sollte, verdeckte er ihn mit einigem Zynismus.

Die schließlich im Telefonbuch von 1934 abgedruckte Buchstabierhilfe ist radikaler verändert als zunächst vorgesehen: 15 der 31 Begriffe sind betroffen. Dabei sind drei Kategorien zu unterscheiden:

  1. Ersatz für jüdische Namen: Dora, Jot, Nordpol, Siegfried, Zeppelin
  2. Kurzformen bislang benutzter Namen: Fritz, Heinz, Toni
  3. Auswechslung anderer Namen: Anton, Bruno, Kurfürst, Ypern, Ärger, Öse, Übel

Zunächst fällt auf, daß die Bezeichnungen Julius und Nikolaus nicht wie vorgesehen übernommen werden und dafür entgegen der Vorgaben Vornamen keine Verwendung fanden. Einmal wird "Jot" der Buchstabe - wie zuvor bei Ypsilon - ohne Hilfswort ausgesprochen. Was gegen Nikolaus einzuwenden war, ist nicht überliefert. Auch die Gründe für die Auswechslung anderer Namen sind nicht mehr nachvollziehbar. Daß nationale Kreise bei der Entscheidung eine gewichtige Rolle gespielt haben müssen, läßt sich an dem Austausch der eigentlich verständlichen Buchstabenbezeichnung Ypsilon durch Ypern erkennen. Nahe der belgischen Stadt Ypern gewann das deutsche Heer eine Schlacht. Aus heutiger Sicht geradezu zynisch ist dabei die Tatsache, daß bei der Schlacht von Ypern im Juli - November 1915 erstmals im Ersten Weltkrieg Giftgas zum Einsatz kam.

Die Einführung kürzerer Begriffe ist als Methode nachvollziehbar, wenn das Ziel - im Sinne Taylors - die Optimierung ist. Die Reduzierung auf eine oder zwei Silben ist auf jeden Fall eine Vereinfachung. Doch nicht in dieses Bild paßt der neue Begriff "Zeppelin" mit drei Silben. Möglicherweise haben hier wiederum nationalistische Gedanken eine wichtigere Rolle gespielt.

Nach 1945

Nach dem Ende des Faschismus wird auch die Buchstabiertafel entnazifiziert. Aus Siegfried wird zumindest offiziell wieder Samuel und aus Zeppelin wieder Zacharias. Auch sonst wird auch viel verändert. Diesmal sind zwölf der 31 Modellwörter betroffen. Eine Systematik ist jedoch kaum auszumachen. Sogar das aus gutem Grunde bereits im Jahre 1926 herausgenommen "Karl" ist wieder eingeführt, was belegt, daß der verantwortliche Beamte die alten Akten offenbar nicht kannte.

Die Tatsache, daß die im Jahre 1950 letztmals veränderte Liste in den deutschsprachigen Ländern BRD, DDR, Österreich und Schweiz identisch benutzt wird, ist darauf zurückzuführen, daß es eine Angleichung auf übernationaler Ebene gegeben hat. Die einzige Änderung für die Berliner Ausgabe besteht im Ersatz des Wortes Karl durch Kaufmann. Die deutschsprachigen Länder arbeiten zusammen in Normenausschüssen, die etwa die für das Telefonbuch relevante Normen wie die DIN 5007 (Ordnen von Schriftzeichenfolgen, ABC-Regeln) ausarbeiten und verbindlich vorschreiben. Das Forum, auf dem diese Frage für Post- und Fernmeldebelange diskutiert werden können, ist das CCITT (Comité consultatif International des communication télégraphique et téléphonique). Hier werden Standards in Form von Empfehlungen erarbeitet. Neben den Verfahrensfragen stehen vor allem technische Standards zur Diskussion, die einen problemlosen Datenaustausch unterschiedlicher Produkte gewährleisten.

Bleibt die Frage nach dem Gebrauch der Buchstabiertafel. Wie wird sie - nach all den beschriebenen nicht immer emotionslosen Debatten - benutzt? Das, was die Gegner jeglicher Änderung immer wieder als Argument ins Feld führten, daß sich das Publikum nicht daran hält und jeder seine eigene Tafel macht, bestätigt sich heute deutlicher. Dennoch gibt es einige Standards: In der TV Gameshow "Glücksrad" buchstabieren die Kandidaten immer wieder "S - wie Siegfried". So zeigen die zwölf Jahre, die eigentlich Tausend währen sollten, auch heute noch Wirkung. Samuel ist völlig ungebräuchlich, selbst Sekretärinnen, die es eigentlich gelernt haben sollten, benutzen das Wort kaum. Dabei hätte ein Blick in eines der beiden Berliner Telefonbüchern - gleichgültig ob Ost oder West - genügt. Zum letzen Mal im Westteil der Stadt war die Tabelle 1978/79 abgedruckt, im Ostteil sogar bis zur letzten Ausgabe im Jahre 1989.

In der West-Fassung gibt es daneben noch eine internationale Fassung der Buchstabiertafel, die bei Gespärchen ins Ausland helfen soll. Vor allem bekannte geographische Bezeichnungen (Amsterdam, Baltimore, Casablance, Danemark) sind zu finden. Alle Erdteile bis auf Australien und Antarkis sind vertreten von Havanna bis Yokohama, von Madagaskar bis Santiago, von Québec bis Zürich. Für "E" ist der Erfinder "Edison" zu nennen, wohl als eine Ehrung an den Techniker. Für "K" ist auf internationaler Ebene keine eindeutiger Name gefunden worden, der eine Verwechslung mit "C" ausschließen kann, darum soll man "Kilogramm" dafür sagen. Für den deutschen wie für den internationalen Sprachraum gibt es nur eine Übereinstimmung: "Xantippe" für "X" gilt überall.

Es ist zu fragen, warum eine deutsche Liste nötig ist, warum die Internationalisierung in Deutschland Ost und West, in der Schweiz und in Österreich nicht stattfindet. Erklärbar ist es mit der Stabilität von Gewohnheiten, die offenbar nur langsam, Zug um Zug, Veränderungen zulassen.

Heute sucht man die Liste im Telefonbuch allerdings vergebens. Der verantwortliche Beamte für das Telefonbuch in dieser Zeit, Herr Pregler, gibt vier Gründe für das Streichen der Tabelle an: zum einen sein Bemühen, mit 16 Seiten Text im Vorbemerkungsteil auszukommen, und dabei sollte an Informationen gespart werden, wo immer dies möglich war. Zum Zweiten benutzen die Teilnehmer sowieso die Modellwörter, die ihnen gerade einfallen. Eine Systematik ist demzufolge kaum durchsetzbar. Zum Dritten war der Telegraphenverkehr Ende der 70er Jahre aufgrund des sich immer weiter verbreitenden Mediums Telefon erheblich zurückgegangen. Die Telegrammaufnahme mittels Fernsprecher spielte keine Rolle mehr und insofern ist eine offizielle und schriftlich vorliegende Buchstabiertafel überholt. Zum Vierten ist mit Einführung des Telefaxes eine direkte schriftlich basierte Kommunikation unter Teilnehmern möglich und gewinnt immer mehr an Bedeutung.

Mittlerweile gibt es im Telefonbuch also keine Hilfestellung mehr zum Buchstabieren. Der Fortschritt der Technik macht es möglich, daß die Übertragung besser und verständlicher ist. So muß sich jeder - etwa beim ständig rauschenden Handy - seine Buchstabiertafel erfinden. Und als hätte der Benutzer es nie anders gelernt, buchstabiert er "S - wie Siegfried".

Es gibt immer wieder Notwendigkeiten und Anlässe zur Veränderung der Tafel auch im Sinne einer Optimierung. Die Richtung der Veränderung und die tatsächliche Ausprägung sind jedoch nicht vorgegeben. Dies ist übrigens auch einer der Grundsätze der Evolutionstheorie und der Theorie zur Beschreibung dynamischer Systeme, der Chaos-Theorie. Eine Übersicht über alle Veränderungen der Buchstabierhilfen zeigt, daß es keine Systematik gibt, sondern an verschiedenen Stellen, jeweils auf Anregungen reagierend, repariert wird.

Systematische Darstellung der Veränderungen in den Buchstabiertafeln

1890 1903 1905 1911 1922/23 1926 1932 1934 1948 1950
A 1 Albert Anton
B 2 Bertha Berta Bernhard Bruno Berta
C 3 Citrone Cäsar
Ch Charlotte
D 4 David Dora
E 5 Emil
F 6 Friedrich Fritz Friedrich
G 7 Gustav
H 8 Heinrich Heinz Heinrich
I 9 Isidor Ida
J Jacob Jakob Jot Julius
K 10 Karl Katharina Kurfürst Karl Kaufmann
L 11 Ludwig
M 12 Marie Martha
N 13 Nathan Nordpol
O 14 Otto
P 15 Paul Paula
Q 16 Quelle
R 17 Richard
S 18 Samuel Siegfried Samuel
Sch Schule
T 19 Theodor Toni Theodor
U 20 Ulrich
V 21 Viktor
W 22 Wilhelm
X 23 Xantippe
Y 24 Ypsilon Ypern Ypsilon
Z 25 Zacharias Zeppelin Zacharias
Ae 26 Ärger Änderung Ärger
Oe 27 Ökonom Öse Ökonom
Ue 28 Überfluß Übel Übermut

 

(c) C. Schwender